Uwe von Trotha schockierte, amüsierte und rührte die Zuhörer im Studio 99 mit Texten von Francois Villon
Peine. Er war ein Mann, vor dem Mütter ihre
Töchter versteckten: Ein Sauf- und Raufbold, Mitglied einer kriminellen
Vereinigung, zum Tode verurteilter und im allerletzten Moment begnadigter
Verbrecher und - ein bedeutender Literat der Weltgeschichte. Francois Villon
kam 1431 in Frankreich zur Welt, gerade, als Johanna von Orleans auf dem
Scheiterhaufen verkohlte.
Ein Kaplan erzog ihn, er studierte, wurde Magister
und trat die Fahrt im Lebensfahrstuhl an
- aber nach unten, ganz tief unten. Aus diesem Bereich
stammen seine Balladen und gehören heute zu denen ganz oben. Uwe von
Trotha schockierte, amüsierte und rührte die Zuhörer im
Studio 99 - je nach persönlicher Empfindsamkeit.
Villons sprachliche Rempeleien zu lesen ist nämlich
die eine Sache, die Wahrnehmung von von Trothas brillantem Vortrag die
andere. Der Mann braucht nichts, nur sich selbst, seine Stimme, seine Mimik,
seine Gesten. Und dann wird aus dem Schauspieler und Buchautor ein verbaler
Rambo, der den vor 500 Jahren erdachten grenzenlosen Sarkasmus, die atemberaubenden
Lästereien und - die sowohl unendliche Zärtlichkeit als auch
schmalziges Selbstmitleid vorträgt, als sei alles erst in jüngster
Zeit aus der Feder geflossen.
Mal vibriert er vor Wut, zischelt, sinniert und
explodiert, als bilde sich Schaum vorm Mund.
Wilfried Sahm unterlegt das mit mittelalterlich
anmutendem Gitarrenklang, trifft musikalisch die Diktion des sprechenden
Partners, bleibt aber nicht einfach bei musikalischer Untermalung, sondern
formt den Sprachvortrag mit und akzentuiert ihn raffiniert auch mit klanglichen
Pausen.
Bei aller Derbheit sind Villons Texte tiefsinnig:
Demütigselbstironisch mit sich selbst, oft in widerlichem Spott gegenüber
den Feinden, voller Behutsamkeit mit denen, die er liebte und in kindlichem
Gottvertrauen im Grauen vor dem Tod.
Von Trotha bringt das Schaffen des Mannes, dessen
Spur sich 1463 nach seiner Begnadigung vor dem Galgen verliert, auch schauspielerisch
auf den Punkt.
Das Publikum hängt ihm an den Lippen, wenn
auch das, was darüber kommt, ihm oft so verdaulich ist, wie eine Rolle
Stacheldraht. Mühelos spielt er mit den Emotionen der Zuhörer
Katz und Maus, jagt sie textlich durch die stinkenden Gossen in ein rotes
Mohnfeld, via Bordell ins Gefängnis und legt ihnen ohne Hemmungen
die Schlinge um den Hals: "Der Herr Jesus wird uns schon vor dem Galgen
retten.Amen." Stimmt. Wie es weitergeht? "Zum Teufel mit der Geduld! Lieber
soll mir die Galle hochkommen." Das Publikum ist überzeugt. Seine
Töchter würde es aber trotzdem verstecken. Sicherheitshalber.
Weltliterat hin oder her. Ulrich Jaschek
Peiner Nachrichten:
Noch einmal nackt im Mohnfeld liegen
Balladen von Francois Villon in Peiner Festsälen
Von Wiebke Dzierza
PEINE. Wie ein Westernheld stand er auf der Bühne; die Linke in
die Hüfte gestützt, zog er seine Worte gleich einem Colt: "Am
besten, man haut ihnen das Maul mit dem Hammer kurz und klein! " Was Uwe
von Trotha da so revolverscharf in das Studio 99 der Peiner Festsäle
ballente, waren lasterhafte Balladen des Francois Villon. Worte, die brannten
wie Zunder.
ja, der große Dichter der Franzosen verdammte sie alle: Justiz,
Minister, Aristokratie. Dabei war er selbst anständiger Erziehung
Frucht, bis die Versuchung der Straße, der Dieberei lockte und fortan
seinen Blick auf Freunde lenkte, die in regelmäßigen Abständen
"wie Äste eines Baumes" am Galgen zu hangeln kamen. So war es im 15.
Jahrhundert, da Korruption, Wegelagerei Alltagsgeschäft und die renaissantinische
Wohlbalance noch fern war.
Es ist das Hervorzuhebende an villonscher Balladenkunst, dass dort
grobe Effekte, schreiende Vulgarismen und erstaunliche Zartheiten mitunter
heftig aneinanderstoßen.
Von Trotha vermochte sich an diesem Abend als Seelenkenner Villons
zu präsentieren: Kraft spannungsvollen Stimmenspiels, sparsamer Gebärde
breitete er die Gefühlswelt des so lange vergangenen Dichtergemüts
authentisch aus: Oh lud er die Zornesröte zu Gast auf sein ausdrucksstarkes
Gesicht, überstieg zuweilen munter die Gesetzte der Zimmerlautstärke;
vermählte Bänkelsänger-Deklamation mit sinnlicher Delicatesse,
da er etwa die "Jammerballade der alten Klempnersfrau" hören ließ,
die, das greise Spiegelbild beschimpfend, in sentimentaler Rückschau
ihre zarten Brüste, "das verliebte Apfelpaar von einst" feierte.
Kongenialer Musikus: Wilfried Sahm, der auf seiner Gitarre in feinster
Lautentradition das schwüle Schwelgen, die verbotene Süßigkeit
jungfräulicher Träume belebte, welche in der Magie des Unausgesprochenen
die Wände mittelalterlicher Kemenaten durchschwebten, darin die Maid
-sich brav an ihrer Spindel zu berauschen hatte. Ganz entrückt schien
der Gitarrist der Welt villonschen Tobens und Tosens, und war doch in seiner
Improvisations-Meisterschaft exzellente Emphase der eruptiv verdichteten
Poetenseele.
Das Publikum war sichtbar gebannt von diesem Zwiegespräch.
"Dass ich mit vielen Figuren deinen Leib beschrieben habe, war mein
schönster Zeitvertreib", pflegte Villon seiner - stets temporären
Favoritin gern zu gestehen; allein, dieses Schürzenjäger-Glück
konnte nicht immer währen. In seinem "Großen Testament", der
Rauferei wegen den Strick vor Augen, verstoßen von Freund und Familie,
verschenkt er in einer Koketterie zwischen Bissigkeit und Bangigkeit seine
körperlichen Qualitäten, sinnt darüber nach, noch einmal
"splitternackt im roten Mohnfeld" zu liegen:
der Traum eines durch Laster und Liederlichkeit an Körper und
Seele zerrissenen, alt gewordenen Mannes
- da war er Anfang dreißig...