Lebende Legende
Checkpoint Charlie wieder unterwegs!
Immer noch Untergrund, nach so vielen Jahren. Und halbe Ewigkeiten ist
es schon her, daß die Gruppe das letzte Mal in der Stadt gastierte,
1979 im Epple-Haus. Doch das wußte wohl nur noch das Zeitungsarchiv,
denn als die Musiker am Freitag in den Jazzkeller hinabstiegen, versammelten
sich dort gerade mal so viele Besucher wie bei jeder beliebigen Newcomer-Band.
Aber ,,die Leckente lebt!", sträubt weiterhin das Gefieder und klappert
unverdrossen die kleinen Clubs ab, während sich das Gros der Kollegen
aus den Anfängen des Krautrocks längst auf das Altenteil mit
Eintrag in die Rocklexika zurückgezogen hat.
Ganz bestimmt, diese Gruppe ist keine der ,,Industriebands"; ,,Checkpoint
Charlie" aus 67806 Bisterschied, vom Land, wohin sich die Musiker- und
Schauspieler-Kommune Ende der siebziger Jahre zurückgezogen hatte,
als man republikweit in den Netzwerken am Traum des alternativen
Lebens bastelte. Heute noch lebt man da zusammen, aber die Kommune- Idee
wird nicht mehr offensiv nach außen getragen. ,,Jetzt ist wieder
Individualismus angesagt", bringt es Uwe von Trotha beim Gespräch
im Bandbus auf den Punkt, nachdem er kurz zuvor einige alte Platten der
Gruppe im Straßenverkauf an einen gerade vorbeiziehenden Fan gebracht
hat.
Die Klassiker wie ,,Krawall im Schweinestall" und ,,Frühling der
Krüppel" sind immer noch zu haben, und auch die alten Ideen von der
selbstverwalteten Vermarktung abseits des industriellen Ausverkaufs leben
weiter fort. Zusammen mit den alten Bekannten von ,,Embryo", wie Checkpoint
Charlie" schon seit über 20 Jahren auf der Szene, hat man das musikereigene,
unab-hängige Plattenlabel ,,Schneeball" reanimiert, auf dem letztes
Jahr auch die neue Produktion von ,,Checkpoint Charlie", die Gurglersinfonie"
erschien. Wurde dieser Tonträger mit einigen illustren Gästen
aus dem Bereich der avancierten Rockmusik eingespielt, ist
,,Checkpoint Charlie" live auf der Bühne nur noch ein Duo.
Zum Veteranen Uwe von Trotha, gelernter Schauspieler
und bereits zu Apo- Zeiten bei ,,Checkpoint Charlie" für ,,Sprache,
Sprüche, Anmache" zuständig, gesellte sich der ehemalige ,,Blech"-
Musiker Therofal, und bei dieser musikalischen Konstellation war so kaum
zu erwarten, daß hier im langbärtigen Hippie- Sound die Vergangenheit
zelebriert würde. Im Jazzkeller rüpelten die beiden dann auch
ganz zeitgemäß: Mit Mummenschanz und Samplertechnik
hüpfte die Gruppe mitten hinein in die Neunziger und lud zu einem
Streifzug durch den Rummel des ganz alltäglichen Wahnsinns. Garantiert
jenseits des sogenannten guten Geschmacks wurde da gespuckt und geplärrt,
deklamiert und geschrien, in kunterbunter Sprachenvielfalt, mit harten
Riffs als knarrendes Scharnier zwischen den Sprechspielen. Musik im Takt
des Videoclip- Zeitalters, ruckzuck von hier nach da, im Cut-up- Verfahren
statt mit lang ausgespielten Improvisationen, gerade so, als ob da einer
am Telecommander durchs Programm flipperte. Im Rösselsprung
geisterte ,,Checkpoint Charlie" durch die Kanäle, mischte Rock mit
Revue, machte kabarettistische Klimmzüge und zertrampelte hinterrücks
wieder alle Schubladen, in die man das Gesehene gerade einpacken wollte.
Einige Zartbesaitete schalteten da im Jazzkeller auch ganz schnell wieder
ab, aber der derbe Humor der beiden Provokateure siedelte allemal im Hardcore-
Bezirk, mit reichlich verspritztem Blut und Sperma, und manche Lacher wurden
fies mit Meldungen aus der täglichen Zeitungslektüre stranguliert.
Die böse Lust am Absurden durchschimmerte diesen Bericht vom Stand
der Dinge: Statt dem agitatorischen Zeigefinger wie früher gegen Atomkraftwerke
und Umweltverschmutzung nun also der Rückzug ins dadaistische Exil?
Uwe von Trotha, ein Meister der grotesk gedrechselten Metapher, schüttelt
den Kopf: ,,Mit Dadaismus hat das gar nichts zu tun. Im Grunde genommen
ist es Lyrik. Underground- Lyrik. Und Dadaismus ist altbackene Scheiße."
,,Checkpoint Charlie" aber will in Bewegung bleiben, ohne sich auf dem
Kissen des Historismus auszuruhen. Umgeben von Irrationalität und
Irrsinn steht die Gruppe wieder an der Grenze zum Abgrund und sendet die
Nachrichten vom daily live terror. Lauthals lacht sie darüber, mit
einer beunruhigenden, bitteren Färbung
last Update: 30.09.1999
Kontakt:
Uwe von Trotha
Hauptsr. 68a
67806 Bisterschied
v.Trotha-Fritz@t-online.de