History:
(Übersicht)
"Die Leckente lebt"
'88-'99
"Krawall im
Schweinestall"
'77-'83
"Die Urcheckpoints"
(Saurierer vom Rhein)
'67-'74
Discographie:
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ROCK IST MEHR ALS NUR MUSIK

Einiges um die Geschichte der deutschen Rockgruppe CHECKPOINT CHARLIE:

 Beet, Rock und all die Formen der Musik jugendlicher Subkultur haben ihren Ursprung in der Musik des afro- amerikanischen Proletariats. Sie betonen in ihrer Kultur wie die seit dreihundert Jahren unterdrückten Afro-Amerikaner die Möglichkeit eines vernünftigen Ausgleichs von Lust und Realitätsprinzip. Sie formulieren das Recht auf unmittelbare Befriedigung von Triebansprüchen, aber so, daß die Wirklichkeit - als der Ort solcher Befriedigung - im Blick bleibt.
 Nicht ganz umsonst findet die Musik auch in Europa ihren Ursprung bei denen, die sich tagtäglich mit der proletarischen Wirklichkeit und dem aufgesetzten bürgerlichen Traum auseinandersetzen müssen. Das Mobiliar, das in den Rock- Konzerten zu Bruch ging, hat Selbstbewußtsein gestärkt; die Väter, die solche Musik als ,,Urwaldmusik" denunziert haben, haben mitgeholfen, sie weiter zu verbreiten; und die Bezeichnung des Pädagogen Dieter Baacke ,,sprachlose Opposition" kennzeichnet nichts anderes als die Tatsache, daß Unterdrückten die Sprache als Ausdrucksmittel vorenthalten wird.
 Doch auch Worte waren von Anfang an dabei. Rock-Musik war Agitation und Traum eines anderen, menschlicheren Lebens zugleich: WOODSTOCK- Symbol dieses Traumes - zu dessen Erfüllung eben noch andere Bedingungen gehören als nur Musik. Tuli Kupferberg, New Yorker Schriftsteller und Dichter, mit Ken Weaver und Ed Sanders Begründer der Rock-Gruppe ,,THE FUGS" hatte diese Musik als Signal verstanden: ,,Wenn die Musik sich ändert, erzittern die Mauern der Städte."
 Weil Musik nicht wertfrei ist, weil jede Form von Musik sehr wohl von ihren ursprünglichen Inhalten getrennt und zur Ware werden kann, deshalb muß sie in den Zusammenhängen gesehen werden, in denen sie zu einer Wirkkraft werden kann.
 Wenn wir uns heute umgucken, dann reden die Väter nicht mehr von Urwaldmusik - sie leben ganz gut von deren Verkauf; die Mauern der Städte sind nicht eingefallen (vielleicht haben sie ein ganz klein wenig gezittert, Rock Musik hat an so mancher neuen Beton-Ruine mitgebaut; das Geschäft hat nicht Halt gemacht vor dem, was gegen es protestierte.
 Zu uns kam die Musik über den Umweg Großbritannien Mitte der 60er Jahre. Überall entstanden Beat- Gruppen. 1967 in Karlsruhe wurde CHECKPOINT CHARLIE gegründet. Zuvor, in den frühen 60er Jahren hatten Bands wie die ehemaligen Skiffler ,,The Lords" aus Berlin oder die Hamburger Beatles- Epigonen ,,Rattles" erste deutsche Rock-Versuche gespielt. Zunächst wurde nachgespielt, was die Schallplatte, das Radio oder das Fernsehen vorzeigte.
Checkpoint Charlie eiferte den Rolling Stones nach - so ganz am Anfang. Musik war eigener Ausdruck und Protest zugleich.
 Zu dieser Zeit begannen auch die Studenten zu protestieren - wortreicher, und auf den Straßen. Die CDU/CSU, bisher allein regierende Partei in der BRD, wußte nicht mehr weiter und die Sozialdemokraten ließen sich auf die ,,große Koalition" ein. Manch einer fühlte sich verraten, es begann ,die Zeit der außerparlamentarischen Opposition. Zwischen rational durchdachter und emotional aufgeladener Rebellion gab es Gemeinsamkeiten: Als Protest gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze feierten sie ein großes Fest: die APOKALYPSE; nicht, um noch aufzuhalten, was nicht mehr ging, sondern um aufzuzeigen, daß es einmal anders gehen kann und wird.

Aus der Subkultur entstehen Ansätze zu einer Gegenkultur. SONG Nr.4, 1969:
,,Gruppen, deren Kultur zur grundlegenden Veränderung beitragen kann, bezeichnen wir... als progressive Subkultur bzw. als Gegenkultur. Während jede Gegenkultur eine Subkultur darstellt, ist nicht jede Subkultur eine Gegenkultur. Eine Subkultur ist nur dann eine Gegenkultur, wenn sie erstens eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft in Richtung ihrer Humanisierung/ Emanzipation anstrebt und zweitens nicht ohne weiteres integrierbar, anpaßbar ist."
Rock-Musik sei für ihn so eine Art Urerlebnis gewesen, sagt Uwe von Trotha, Schauspieler, Texter und Sprecher der ChCh. Er hatte die Gruppe in Karlsruhe gehört, sprach mit den Band-Mitgliedern und machte mit. Sie zogen auf den Marktplatz mit ihren Instrumenten und brachten mit importierter Musik gute demokratische (vielleicht auch, wie Gerhard Zwerenz meint ,,plebejische,,) Kultur den Leuten: Texte von Francois Villon, Bert Brecht, Wolfgang Borchert Dabei blieb es nicht, sie machten eigene deutsche Texte - soweit ich weiß, waren sie die ersten, die agitatorische deutsche Texte und Rock-Musik verbanden. Wo sie auftraten, schockierten sie auf politischen Veranstaltungen diejenigen, die mehr Sachlichkeit und Vernunft forderten, auf Beat- Konzerten die inzwischen an einen Beat- Konsum angepaßten Teenies. So manches Mal sind sie kurz vor den Prügeln vorhergekommen. Wie oft ihnen der Strom ausgestellt wurde, weiß keiner mehr. Checkpoint Charlie wurde zu einem Begriff für wenige - die großen Medien wollten von ihnen nichts wissen und daß es in den deutschen Landen diese Gruppe gab, daß sprach sich so etwa von Mund zu Mund herum.

Ein ähnliches Zusammentreffen von Rock-Musik und politischer Aktion finden wir auch um Ursprungsland, den USA. Die Eskalation des Vietnam- Kriegs, die wachsenden Unruhen im Innern , sie wurden aufgegriffen von der unter den Jugendlichen populären Musik: Gruppen wie Country' Joe and the fish, der frühe Frank Zappa und seine Mütter, die drei New Yorker Schriftsteller und Dichter Ken Weaver, Ed Sanders, Tuli Kupferberg, die die FUGS gründeten, stehen für diese Bewegung - die Bewegung auch in den Zuschauerraum brachte, über den Körper hinaus auch ins Gehirn. Diese Ausdrucksformen betonen die Möglichkeit eines vernünftigen Ausgleichs von Lust- und Realitätsprinzip. Sie formulieren das Recht auf unmittelbare Befriedigung von Triebansprüchen, aber so, daß die Wirklichkeit - als Ort solcher Befriedigung - im Blick bleibt.
 
 

Ein Checkpoint Charlie Text - sinnliche Beschreibung irrationaler Wirklichkeit:

Herr Müller fickte als Buchhalter
als Buchhalter fickte Herr Müller

vor dem Kaffee
in den Kaffee
nach dem Kaffee

mit COLGATE
für COLGATE
durch COLGATE

durch Bilanzen
den Popanzen
in den Ranzen

für'n VW
für'n VW
für'n VW

Da ruft Herr Hinz seine Frau zu Hilfe. Da schlägt
Herr Kodisch der Frau Hinz den Regenschirm
über den Kopf. Da eilt Herr Hinz seiner Frau
zu Hilfe. Da kämpfen Herr Hinz und Frau
Hinz und Herr Kodisch mit dem Regenschirm
und dem Taschenmesser bis alle drei tot zusammenbrechen
Herr Müller war blutrot von seinem Tod aus Kot
auf zum Tanz im Auspuff quält sein Schwanz noch
ganz ums Herze wurde mir bange über Müllers Stoßstange
vom Vergaserrand flattert ein Strumpfhand
die PS bleiben ungenannt
sein Gehänge ne ganze Menge im Gestänge
wieviel Reifen aus dem Sarge das ist eure Frage
ihn trug man ohne Sack zu Grabe

Radikal wird von Checkpoint Charlie entmythologisiert, das Auto als Sexualitätsersatz beschrieben; gezeigt, wie aus gehetzten Menschen Waren werden. Mit der Sexualität hatten sie's aber schon immer - das best- und langgehüteste Geheimnis der deutschen Schlafzimmer wurde auf die Bühne gezerrt und hemmungslos beschrieben, doch nicht nur um den Voyeuren, die sie doch alle waren, einen schönen Ersatz zu bieten, mehr um zu zeigen, was alles Ersatz ist. 1970 gingen sie ins Studio, sie produzierten ihre erste und bislang einzigste LP: Grüß Gott mit hellem Klang. Ihnen bleibt nichts heilig, weil alles so profan und überschaubar geworden ist, stur, leer und ordentlich sauber. Die Platte haben sie selbst produziert und selbst vertrieben; schlecht, weil alles noch am Anfang war.

1969 waren ChCh auf der Burg Waldeck eingeladen: zum Festival der Gegenkultur. Der Mainzer Journalist Tom Schroeder schrieb damals über Checkpoint Charlie: ,,Mit dem Arsch u.a. spielen, geigen, sehen und hören: Checkpoint Charlie (wegen einer schwarz-rot-gold gefärbten Klo-Schüssel kriegen sie demnächst den Prozess gemacht). Checkpoint Charlie sind für mich die radikalste deutsche Band, die in der Verbindung von Text und Musik rational- aggresivste. Sie (und nicht nur ihr dirtv-blues-Jagger (womit der Sänger Harald Linder treffend bezeichnet wurde. G.S.)) haben etwas von den frühen Stones - hier wäre ein guter Anlaß gewesen, über die Rolle des Schocks in der Einleitung von Lernprozessen zu diskutieren."

Auf der Waldeck sollte 1969 mehr diskutiert als Musik gemacht werden. 1968 hatten einige gefordert: ,,Stellt die Gitarren in die Ecke! Werdet ohne Gesang politisch aktiv!" Die Forderung stelle sich als kategorisch heraus - es wurde weitergesungen, doch 1969 diskutierte man intensiver denn je über die Funktion von Liedern - besonders die Funktion von politischen Liedern.

Die einzelnen Mitglieder der Gruppe diskutierten mit - jedoch anders als etwa ,Floh de Cologne". Das Kölner Kabarett hatte die Rock-Musik als Transportmittel ihrer politischen Aussage entdeckt. Die Nicht-Musiker lernten Musik machen - und das nicht schlecht, wie heute zu hören ist! Sie würden nach eigenen Aussagen auch Geige spielen lernen, wenn die Jugendlichen, die sie ansprechen wollen, nur noch Geigen hören wollen.

Anders die Musiker der ChCh. Sie haben den Text entdeckt, der zu ihrer Musik paßt: widerspruchsvoll, emotional, spontan, vulgär, dreckig ... so, wie die umgebende Scheiße, in der man sitzt, einen eben aufbringen kann.

Sie haben sich wie auch andere Musiker mit ähnlichem Verständnis ihrer Musik nicht eingestellt auf die Kommerzialisierung des Beat, des Rock. Denn hier ging die Beziehung zur Wirklichkeit als dem Bereich möglicher Befriedigung verloren, hier wurde der Anspruch auf Triebbefriedigung zu einer ,abgeleiteten' Befriedigung in Gestalt einer verkaufbaren Ware ,umgedreht'. Wichtiges Element bei ChCh: die Musik muß Spaß machen, sie darf nicht nur Vehikel sein!

Ihr neues Programm war die ,,Rock-Operette Scheiße": Die politische Sammelbewegung der APO zerbrach, deutsche Rock-Gruppen fanden Produzenten -und die fanden das Geld. Musik-Gruppen wie XHOL und MISSUS BEASTLY lösten sich auf, weil sie zulange gut gespielt und schlecht gelebt hatten, weil die erhoffte Organisation der Gegenkultur sich nicht einstellte. Checkpoint Charlie machte weiter - bis Mitte 1971: Joachim Krebssalat und Werner Heß gründeten die ,,Charlie Kaputt", eine Zwei- Mann- Gruppe, die nach neuen musikalischen Formen suchte. Andere Gruppenmitglieder zogen sich in die politische Basisarbeit zurück: Aufbau von Kinderläden und Agitation in den Betrieben. Nach einem halben Jahr und weitergeführter Diskussion wurde aus dem Rumpf wieder ein Ganzes: Sie waren wieder da. Ihr neues Programm ,,Notwehr" haben sie in Zusammenarbeit mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) gebastelt. Mit vielen Schwierigkeiten, wenig Geld und einer kaputten Anlage haben sie ein viertel Jahr daran gearbeitet - die längste Zeit auf der Burg Waldeck. Dort wurde oft mehr diskutiert als Musik gemacht, weil hier in der Hunsrück- Einsamkeit auch die Spannungen untereinander zum Ausbruch kamen. Zum Bruch kam es jedoch vorerst nicht: im September 1972 gingen sie mit ihrem neuen Programm auf Tournee - manch einer wurde wieder einmal geschockt und der VK, der so einiges versprochen hatte, zog sich zurück. Der Gruppe wurde damit die materielle Basis entzogen, sie ging endgültig auseinander. Zwei wollen weitermachen im alten Checkpoint- Charlie- Stil: laut, schockierend, anklagend.

Die Rock-Gruppe Checkpoint Charlie hat sich im Laufe der Zeit verändert; eines hat sie nicht getan: sich angepaßt! Und die Fragen in bezug auf die Funktion von Rock-Musik im Bereich des Politischen, die schon beim Gegenkulturfestival 1969 auf der Burg Waldeck nicht beantwortet wurden, bleiben immer noch:

Schließen sich politische Kleinarbeit mit dem Kopf und lustvolle Erfahrung mit dem Körper und seinen Teilen aus?

Ist die Schaffung einer ,,Gegenkultur" idealistisch und damit gegenwärtig nicht erreichbar oder haben zu viele, die daran gearbeitet haben, zu schnell resigniert? Welche Funktion kommt der Kultur (und damit einem ,Massenphänomen' wie dem Beat, dem Rock) zu bei einer qualitativen Veränderung der bestehenden Verhältnisse - wo beginnt sie, die Form der Ware anzunehmen, wo transportiert sie noch bewußtseinsverändernde Inhalte?

verfasst von
Günter Scheding
(Oktober 1973)


last Update: 30.09.1999
Kontakt:
Uwe von Trotha
Hauptsr. 68a
67806 Bisterschied
v.Trotha-Fritz@t-online.de