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ROCK IST MEHR ALS NUR MUSIK
Einiges um die Geschichte der deutschen Rockgruppe CHECKPOINT CHARLIE:
Aus der Subkultur entstehen Ansätze zu einer Gegenkultur. SONG
Nr.4, 1969:
,,Gruppen, deren Kultur zur grundlegenden Veränderung beitragen
kann, bezeichnen wir... als progressive Subkultur bzw. als Gegenkultur.
Während jede Gegenkultur eine Subkultur darstellt, ist nicht jede
Subkultur eine Gegenkultur. Eine Subkultur ist nur dann eine Gegenkultur,
wenn sie erstens eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft in
Richtung ihrer Humanisierung/ Emanzipation anstrebt und zweitens nicht
ohne weiteres integrierbar, anpaßbar ist."
Rock-Musik sei für ihn so eine Art Urerlebnis gewesen, sagt Uwe
von Trotha, Schauspieler, Texter und Sprecher der ChCh. Er hatte die Gruppe
in Karlsruhe gehört, sprach mit den Band-Mitgliedern und machte mit.
Sie zogen auf den Marktplatz mit ihren Instrumenten und brachten mit importierter
Musik gute demokratische (vielleicht auch, wie Gerhard Zwerenz meint ,,plebejische,,)
Kultur den Leuten: Texte von Francois Villon, Bert Brecht, Wolfgang Borchert
Dabei blieb es nicht, sie machten eigene deutsche Texte - soweit ich weiß,
waren sie die ersten, die agitatorische deutsche Texte und Rock-Musik verbanden.
Wo sie auftraten, schockierten sie auf politischen Veranstaltungen diejenigen,
die mehr Sachlichkeit und Vernunft forderten, auf Beat- Konzerten die inzwischen
an einen Beat- Konsum angepaßten Teenies. So manches Mal sind sie
kurz vor den Prügeln vorhergekommen. Wie oft ihnen der Strom ausgestellt
wurde, weiß keiner mehr. Checkpoint Charlie wurde zu einem Begriff
für wenige - die großen Medien wollten von ihnen nichts wissen
und daß es in den deutschen Landen diese Gruppe gab, daß sprach
sich so etwa von Mund zu Mund herum.
Ein ähnliches Zusammentreffen von Rock-Musik und politischer Aktion
finden wir auch um Ursprungsland, den USA. Die Eskalation des Vietnam-
Kriegs, die wachsenden Unruhen im Innern , sie wurden aufgegriffen von
der unter den Jugendlichen populären Musik: Gruppen wie Country' Joe
and the fish, der frühe Frank Zappa und seine Mütter, die drei
New Yorker Schriftsteller und Dichter Ken Weaver, Ed Sanders, Tuli Kupferberg,
die die FUGS gründeten, stehen für diese Bewegung - die Bewegung
auch in den Zuschauerraum brachte, über den Körper hinaus auch
ins Gehirn. Diese Ausdrucksformen betonen die Möglichkeit eines vernünftigen
Ausgleichs von Lust- und Realitätsprinzip. Sie formulieren das Recht
auf unmittelbare Befriedigung von Triebansprüchen, aber so, daß
die Wirklichkeit - als Ort solcher Befriedigung - im Blick bleibt.
Ein Checkpoint Charlie Text - sinnliche Beschreibung irrationaler Wirklichkeit:
Herr Müller fickte als BuchhalterRadikal wird von Checkpoint Charlie entmythologisiert, das Auto als Sexualitätsersatz beschrieben; gezeigt, wie aus gehetzten Menschen Waren werden. Mit der Sexualität hatten sie's aber schon immer - das best- und langgehüteste Geheimnis der deutschen Schlafzimmer wurde auf die Bühne gezerrt und hemmungslos beschrieben, doch nicht nur um den Voyeuren, die sie doch alle waren, einen schönen Ersatz zu bieten, mehr um zu zeigen, was alles Ersatz ist. 1970 gingen sie ins Studio, sie produzierten ihre erste und bislang einzigste LP: Grüß Gott mit hellem Klang. Ihnen bleibt nichts heilig, weil alles so profan und überschaubar geworden ist, stur, leer und ordentlich sauber. Die Platte haben sie selbst produziert und selbst vertrieben; schlecht, weil alles noch am Anfang war.
als Buchhalter fickte Herr Müllervor dem Kaffee
in den Kaffee
nach dem Kaffeemit COLGATE
für COLGATE
durch COLGATEdurch Bilanzen
den Popanzen
in den Ranzenfür'n VW
für'n VW
für'n VWDa ruft Herr Hinz seine Frau zu Hilfe. Da schlägt
Herr Kodisch der Frau Hinz den Regenschirm
über den Kopf. Da eilt Herr Hinz seiner Frau
zu Hilfe. Da kämpfen Herr Hinz und Frau
Hinz und Herr Kodisch mit dem Regenschirm
und dem Taschenmesser bis alle drei tot zusammenbrechen
Herr Müller war blutrot von seinem Tod aus Kot
auf zum Tanz im Auspuff quält sein Schwanz noch
ganz ums Herze wurde mir bange über Müllers Stoßstange
vom Vergaserrand flattert ein Strumpfhand
die PS bleiben ungenannt
sein Gehänge ne ganze Menge im Gestänge
wieviel Reifen aus dem Sarge das ist eure Frage
ihn trug man ohne Sack zu Grabe
1969 waren ChCh auf der Burg Waldeck eingeladen: zum Festival der Gegenkultur. Der Mainzer Journalist Tom Schroeder schrieb damals über Checkpoint Charlie: ,,Mit dem Arsch u.a. spielen, geigen, sehen und hören: Checkpoint Charlie (wegen einer schwarz-rot-gold gefärbten Klo-Schüssel kriegen sie demnächst den Prozess gemacht). Checkpoint Charlie sind für mich die radikalste deutsche Band, die in der Verbindung von Text und Musik rational- aggresivste. Sie (und nicht nur ihr dirtv-blues-Jagger (womit der Sänger Harald Linder treffend bezeichnet wurde. G.S.)) haben etwas von den frühen Stones - hier wäre ein guter Anlaß gewesen, über die Rolle des Schocks in der Einleitung von Lernprozessen zu diskutieren."
Auf der Waldeck sollte 1969 mehr diskutiert als Musik gemacht werden. 1968 hatten einige gefordert: ,,Stellt die Gitarren in die Ecke! Werdet ohne Gesang politisch aktiv!" Die Forderung stelle sich als kategorisch heraus - es wurde weitergesungen, doch 1969 diskutierte man intensiver denn je über die Funktion von Liedern - besonders die Funktion von politischen Liedern.
Die einzelnen Mitglieder der Gruppe diskutierten mit - jedoch anders als etwa ,Floh de Cologne". Das Kölner Kabarett hatte die Rock-Musik als Transportmittel ihrer politischen Aussage entdeckt. Die Nicht-Musiker lernten Musik machen - und das nicht schlecht, wie heute zu hören ist! Sie würden nach eigenen Aussagen auch Geige spielen lernen, wenn die Jugendlichen, die sie ansprechen wollen, nur noch Geigen hören wollen.
Anders die Musiker der ChCh. Sie haben den Text entdeckt, der zu ihrer Musik paßt: widerspruchsvoll, emotional, spontan, vulgär, dreckig ... so, wie die umgebende Scheiße, in der man sitzt, einen eben aufbringen kann.
Sie haben sich wie auch andere Musiker mit ähnlichem Verständnis ihrer Musik nicht eingestellt auf die Kommerzialisierung des Beat, des Rock. Denn hier ging die Beziehung zur Wirklichkeit als dem Bereich möglicher Befriedigung verloren, hier wurde der Anspruch auf Triebbefriedigung zu einer ,abgeleiteten' Befriedigung in Gestalt einer verkaufbaren Ware ,umgedreht'. Wichtiges Element bei ChCh: die Musik muß Spaß machen, sie darf nicht nur Vehikel sein!
Ihr neues Programm war die ,,Rock-Operette Scheiße": Die politische Sammelbewegung der APO zerbrach, deutsche Rock-Gruppen fanden Produzenten -und die fanden das Geld. Musik-Gruppen wie XHOL und MISSUS BEASTLY lösten sich auf, weil sie zulange gut gespielt und schlecht gelebt hatten, weil die erhoffte Organisation der Gegenkultur sich nicht einstellte. Checkpoint Charlie machte weiter - bis Mitte 1971: Joachim Krebssalat und Werner Heß gründeten die ,,Charlie Kaputt", eine Zwei- Mann- Gruppe, die nach neuen musikalischen Formen suchte. Andere Gruppenmitglieder zogen sich in die politische Basisarbeit zurück: Aufbau von Kinderläden und Agitation in den Betrieben. Nach einem halben Jahr und weitergeführter Diskussion wurde aus dem Rumpf wieder ein Ganzes: Sie waren wieder da. Ihr neues Programm ,,Notwehr" haben sie in Zusammenarbeit mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) gebastelt. Mit vielen Schwierigkeiten, wenig Geld und einer kaputten Anlage haben sie ein viertel Jahr daran gearbeitet - die längste Zeit auf der Burg Waldeck. Dort wurde oft mehr diskutiert als Musik gemacht, weil hier in der Hunsrück- Einsamkeit auch die Spannungen untereinander zum Ausbruch kamen. Zum Bruch kam es jedoch vorerst nicht: im September 1972 gingen sie mit ihrem neuen Programm auf Tournee - manch einer wurde wieder einmal geschockt und der VK, der so einiges versprochen hatte, zog sich zurück. Der Gruppe wurde damit die materielle Basis entzogen, sie ging endgültig auseinander. Zwei wollen weitermachen im alten Checkpoint- Charlie- Stil: laut, schockierend, anklagend.
Die Rock-Gruppe Checkpoint Charlie hat sich im Laufe der Zeit verändert; eines hat sie nicht getan: sich angepaßt! Und die Fragen in bezug auf die Funktion von Rock-Musik im Bereich des Politischen, die schon beim Gegenkulturfestival 1969 auf der Burg Waldeck nicht beantwortet wurden, bleiben immer noch:
Schließen sich politische Kleinarbeit mit dem Kopf und lustvolle Erfahrung mit dem Körper und seinen Teilen aus?
Ist die Schaffung einer ,,Gegenkultur" idealistisch und damit gegenwärtig nicht erreichbar oder haben zu viele, die daran gearbeitet haben, zu schnell resigniert? Welche Funktion kommt der Kultur (und damit einem ,Massenphänomen' wie dem Beat, dem Rock) zu bei einer qualitativen Veränderung der bestehenden Verhältnisse - wo beginnt sie, die Form der Ware anzunehmen, wo transportiert sie noch bewußtseinsverändernde Inhalte?
verfasst von
Günter Scheding
(Oktober 1973)